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    interview mit der Schauspielerin
    JESSIkA-katharina
    MÖLLER-LANGMAACK

    Jessika-Katharina Möller-Langmaack ist Mitglied des Ensemble hArttimes theater in Hannover. Im Rahmen des EUCREA Programms CONNECT - Kunst im Prozess ist sie mit dem Schauspiel Hannover in Kontakt gekommen. In dem Interview mit Jutta Schubert spricht sie über ihren Weg dorthin und warum Schauspielende wie sie es im Theaterbetrieb schwer haben.
    Im Rahmen des Programms CONNECT in Niedersachsen hast du als Mitglied des hArt times theater mit dem Schauspiel Hannover kooperiert.
    Aufgrund meines technischen Wissens habe ich dort den technischen Part übernommen. Ich war bereits bei „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (späterer Titel „Wer hat Angst vor Gendergames?“) dabei und kannte den Technikbereich. Als Performerin spielte ich dann u.a. das Kind von Martha und George und das alles gleichzeitig.

    Beschreibe doch mal deinen künstlerischen Weg bis zur Kooperation mit dem Schauspiel Hannover?
    Im Grunde ist es eigentlich der Weg eines Traums, der immer wieder ein bisschen mehr in Erfüllung ging. Der Start war an der Cumberlandschen Bühne Hannover, einer Kleinkunstbühne. Es gibt keine klassische Theaterarchitektur, sondern nur diesen einen großen Raum, der so gestaltet werden kann wie man möchte. Mara Martinez vom Schauspiel Hannover hat mir dort einen Workshop ermöglicht. Zuvor war ich sowohl an der Veranstaltungsreihe „Universen“ als auch an „What the fuck?“ (2020) beteiligt, was ein von einem externen Theaterkollektiv, den Chicks, produziertes Stück werden sollte. Leider kam dann Corona. Die Universen wurden hingegen von verschiedenen Kleindarsteller:innen gestaltet. Ich habe dort unterschiedlichste Funktionen übernommen.
    Später hat sich allerdings herauskristallisiert, dass ich doch mehr Performance bzw. künstlerische und schauspielerische Aufgaben machen sollte. Ich habe einen Text sehr kurz vor dem einen Live-Stream bekommen. Eine halbe Stunde vor Beginn des Streams habe ich den Text komplett durchgelesen und niedergeschrieben, wie ich ihn verstanden habe. Daraus habe ich ein Zitat abgeleitet, das ich während dieses Livestreams noch weiterentwickelt habe. Das hat bei mir einen Wow-Effekt ausgelöst. Der Grund hierfür war mir schnell klar: Ich stand seit meinem achten Lebensjahr immer mal wieder irgendwie auf der Bühne. Es war nie in dem Wissen, dass ich Schauspielerin bin oder werde. Es hat mir mal jemand gesagt: Sobald man das erste Mal irgendwie im Kontext Bühne sichtbar war oder auf der Bühne einen Text gesprochen hat – und das zur Zufriedenheit und repetitiv jeden Abend für diese Aufführung gemacht hat – dann ist man Schauspieler:in und darf sich so nennen. Das ist kein geschützter Berufsname. Trotzdem habe ich keine Bühnenreifeprüfung, bin also nicht gleichwertig mit anderen Schauspieler:innen. Das weiß ich, das ist mir bewusst.
    Einige Qualitäten habe ich dennoch über die letzten drei Jahrzehnte entwickelt: eine gewisse Wirkung oder Präsenz auf der Bühne zu erstellen und diese auch mit verschiedenen Persönlichkeiten zu bestücken. Das Proben ist allerdings immer stressig für mich. Durch den Lockdown zogen sich die Proben der Kooperation mit den Schauspiel Hannover gefühlt Jahre hin. Bisher kannte ich in der Regel lediglich max. zwei Wochen – vielleicht ganz im Ausnahmefall vier Wochen – Probezeit und dann ging das Ding auf die Bühne. Diese ewig andauernden Proben waren zu viel für mich.

    Mit dem Schauspielern hast du also früh angefangen und dann eisern deinen Traum verfolgt?
    Die Bühne war für mich damals ein sehr schöner, warmer Raum. Beleuchtet und mit vielen bunten Dingen. Es war ein für sich geschlossener Raum. Hierzu muss ich erklären, dass ich Asperger-Autistin bin. Für mich war bis zum 16. Lebensjahr nicht erkennbar, dass es anders denkende Wesen gibt. Dass es Menschen gibt, die genauso ticken wie ich. Deswegen hab ich auch nicht wahrgenommen, dass es diesen Raum gibt, der wiederum von einem anderen, dunkleren Raum betrachtbar ist. Dieser dunklere Raum war mir im Grunde auch unwichtig. Ich hatte meine erste Rolle z.B. in „Das schlafende Kind“. Über 90 Minuten einfach nur da liegen und nicht wirklich interagieren. Eine relativ einfache und angenehme Sache. Oder in einem anderen Stück war ich die Sonne: Ich habe das Licht ein- und ausgeschaltet. Nichts Besonderes. Trotzdem habe ich diese Zeit irgendwie genossen, weil ich mich da in Dingen ausprobieren kann, die ich selber nicht bin und auch nicht sein muss.

    Und wie ging es weiter, nachdem du das Licht an- und ausgeknipst hast: Hast du als junger Mensch dann auch Sprechrollen bekommen?
    Ja. Das hat sich irgendwie ergeben. Ich habe bei den Proben immer dabei gesessen und stellte irgendwann fest, dass sich die Texte wiederholen. Dann begann ich, mir die grob zu merken. Fehler passieren meist an den gleichen Stellen. Daher habe ich mir auch gemerkt, welche Worte aus dem Off geflüstert wurden. Diese Worte habe ich bald immer ganz kurz vor der Lücke gesagt, weil ich die Stolpersteine ja kannte. Irgendwann konnte die Person auf der Bühne ihren Text dann so flüssig, dass ich meine heimlichen Worte nicht mehr sagen konnte. Allerdings fragte mich dann eine Regisseurin, ob ich das Textbuch mal lesen möchte. Innerhalb einer halben Stunde hatte ich im Kopf eine Kopie davon. Das ist keine gute Methode, weil es nie das gesamte Stück ist, was dann Wort für Wort im Kopf ist. Ich merke mir nur grob, was im Text vorkommt. Das ist für mich wie ein Sport geworden. Ich wollte aber auch Texte auswendig lernen, um sie auch zu verstehen bzw. auch wahrzunehmen, wenn andere vorlesen, ob ich das richtig verstanden habe.

    Und wann hattest du dann deine erste Sprechrolle?
    Das war ungefähr mit zehn Jahren.

    Wieso hast du mit 17 Jahren schließlich mit all dem aufgehört?

    Weil man dann in das Alter kommt, wo einem die Frage gestellt wird „Willst du das nicht studieren? Wieso gehst du nicht auf eine Schauspielschule und dann können wir dich hier fest anstellen?“ und ich wusste nicht, was sie von mir wollten. Letztendlich hat mich auch niemand an die Hand genommen und mich dahin geführt, was ich wahrscheinlich gebraucht hätte. Und außerdem kommen da ungefähr 5000 Bewerber:innen auf einen Studienplatz. Das sind einfach viel zu wenig Plätze.

    Du hast keine Unterstützung bei deiner Ausbildungsfrage bekommen, wusstest aber, dass du gerne weitermachen würdest? Oder war das nicht so klar?
    Das war mir schon klar. Man weiß ja immer erst hinterher, wenn man etwas vermisst, das einem gutgetan hat. Außerdem muss man dazu sagen, ich habe 1998 meinen Hauptschulabschluss gemacht. Damit kommt man sowieso nicht in eine Schauspielschule. Ich musste somit erst einmal sehen, dass ich irgendwie meinen Realschulabschluss nachhole. Das habe ich auch relativ schnell in der Volkshochschule in Hildesheim geschafft.

          Du wusstest also, dass du mit einem Hauptschul- oder Realschulabschluss nicht auf eine Schauspielschule kommst und dir war auch klar, dass sich ziemlich viele Leute bewerben. Hast du es denn trotzdem probiert?
    Ja, na klar. Ganz bewusst in diesem Jahr (2021)! Im Dezember kam dann auch leider ein Ablehnungsbescheid. Der war nicht sehr ausführlich, im Sinne von „ihre Leistungen waren nicht ausreichend“ und dann denkt man sich natürlich, man hat jetzt versagt. Aber im Nachhinein zu erfahren, dass es 5000 Leute gibt, die sich auf den einen Studienplatz bewerben…Es werden also 4999 potentielle Schüler:innen, die eventuell besser sein könnten, einfach abgelehnt.

         Und du hast das Bewerbungsverfahren mit Vorsprechen mitgemacht?
    Pandemiebedingt war es eine Videobewerbung mit nur einer Aufnahme. Man hat 2 Minuten für dies und 3 Minuten für das. Da muss man versuchen, eine Möglichkeit zu finden, einen Monolog und andere Texte irgendwie anzubieten. Mein Aspi-Gehirn sagt mir dann: „Du musst diesen Text mit 3 Seiten jetzt in die 3 Minuten reinkriegen“. Das ist ja auch möglich, nur, dass man gewisse Transportprodukte dessen, was man eigentlich zeigen möchte, gar nicht hinkriegt. Das ist die andere Sache. Allerdings ist das etwas, was ich in der Schule ja lernen würde.

         Die Schauspielschulen haben meiner Vermutung nach häufig bestimmte Vorstellungen davon, wie Schauspielende sein sollen, die sich dort bewerben. Da fällst du aufgrund deines Asperger-Autismus und auch äußerlich wahrscheinlich aus dem Rahmen. Denkst du, dass das Kriterien für die Ablehnung waren?
    Das kann ich nicht einschätzen, weil sich die Informationsflut in einer Pfütze ergoss von einem Tropfen auf dem heißen Stein. Die Informationen waren eher wie „mein Pullover ist lila“. Punkt. Mehr Information kamen nicht. Ich bin ja nicht nur Asperger-Autistin, was mir das Verstehen von Zwischen-den-Zeilen und auch das Transportieren zwischen den Zeilen erschwert. Das bedeutet, dass 75% des Nachrichteninhalts, also das Zwischenmenschliche, Nonverbale, für mich unverständlich ist. Das ist, als würde ich versuchen, einem Vollblinden anhand von Braille die Farben zu erklären oder einem Tauben, was Töne sind.

         Du hast zum einen Asperger und zum anderen bist du intersexuell.
    Umgangssprachlich kann man das auch als Zwitter bezeichnen. Das heißt ich bin „weder noch“. Ich bin zwar im Geburtenregister als weiblich eingetragen und man könnte das vielleicht auch vermuten, wenn man mich so anschaut, dass es auch so ist. Allerdings weicht mein Chromosomensatz, der männlicher nicht sein kann, von dieser Wahrnehmung von mir als Frau ab und mein Körper reagiert zudem auch so ein bisschen auf Testosteron.

    Du hast in den letzten Jahren in mehreren freien Produktionen mitgespielt, kamen auch Angebote von festen Häusern?
    Die Möglichkeit einer Festanstellung wäre leider sowieso keine Option für mich, weil ich Rente bekomme. Und die bekomme ich nur, wenn ich nichts verdiene oder maximal 300€. Für mich war also schnell klar, dass ich im Kunstbereich, der ja doch ein sehr fluktuierender ist, niemals werde Fuß fassen können. Ich habe mir daher auch relativ schnell gesagt „Okay, ich bin ja auch nicht wirklich künstlerisch begabt..“. Ich war dann später bei einer Produktion der Fräulein Wunder AG (einem freiem Performancekollektiv). Das war so die erste Rückkehr.

    Willst du nochmal versuchen, einen Studienplatz zu bekommen oder willst du dich weiter  in der freien Szene bewegen? Mit dem ARTplus Programm stehen wir bei EUCREA noch am Anfang, aber wir arbeiten daran, dass Schauspielschulen Menschen mit Behinderungen Ausbildungsmöglichkeiten anbieten. Wie sind deine Zukunftspläne: Wartest du auf Angebote oder bringst du dich aktiv irgendwo ein?
    Letztendlich ist es so, dass ich mich nicht wirklich aktiv einbringen kann oder darf. Wenn ich mich irgendwo versuche einzubringen, werden in der Regel professionelle Schauspieler:innen gesucht. Da frage ich mich oft: Was bedeutet denn professionell? Frisch aus der Schauspielschule kommend oder doch eine gewisse Berufserfahrung von mehreren Jahrzehnten, ohne eben diese Schule besucht zu haben, aber trotzdem quasi die gleichen Voraussetzungen mitzubringen?
    Dann kommt meistens keine Antwort mehr. Die wissen ganz genau, dass ihre Kriterien den Ausschluss von gewissen Personengruppen bedeuten, die eben nicht das Privileg bekommen haben, an einer Hochschule etwas zu lernen. Ich meine, ich habe überhaupt keine Ausbildung bis jetzt, weil mich überhaupt niemand irgendwie auf meine 5000+ Bewerbungen in meinem Leben hat einstellen wollen. Nicht mal für eine Ausbildungsstelle, egal wo. Dieses ständige Diskriminiertwerden, dieses Ausgegrenztwerden… Mittlerweile bin ich 39 Jahre alt und mich wird auch jetzt keiner nehmen. 20 Jahre meines Lebens waren Bewerbungsphase und trotzdem ist nicht passiert, dass ich irgendwo angenommen worden bin und das wird so weitergehen.
    Natürlich wünsche ich mir eine gewisse Ausbildung. Einfach ein Blatt in der Hand haben zu können, weil alle offenbar scheingeil sind. Ich finde dieses Wortspiel total schön, weil letztendlich… es geht um ein Blatt Papier, auf dem steht, dass man was kann. Es wird nicht danach geschaut, dass die Person das wirklich kann, nein, es ist ganz wichtig, dass dieser Schein, dieses Blatt Papier dir das bescheinigt.

    Das Theater fängt ja jetzt an diverser zu werden. Das heißt, dass viel mehr unterschiedliche Menschen auch in renommierten Häusern auf der Bühne stehen. Die Münchner Kammerspiele haben jetzt sechs Menschen mit Behinderung in ihr Ensemble aufgenommen. Es ist sinnvoll, diese Entwicklungen gut zu beobachten. Schade ist nur, dass du aus Hannover nicht weggehen kannst, richtig?

    Also nicht dauerhaft, aber ich bin durchaus gewillt. Über das Schauspiel Hannover  besteht die Möglichkeit, während der Produktionszeiträume in Künstler:innenwohnungen wohnen zu können, das gibt es an anderen Theatern sicher auch. Für mich ist das kein Problem, ich bin relativ flexibel. Ich packe nur mein E-Piano und meinen Laptop ein – alles andere stecke ich einfach in eine Tasche. Temporär wäre es auch gar kein Problem, z.B. nach Graz an die Oper zu gehen. Die suchen aktuell für Morgen und Abend Statist:innen. Ich weiß aber auch, dass es aufgrund der schlechten Vergütung langfristig nicht ausreicht, nur Statist:innenrollen zu übernehmen. Ich bewerbe mich dort trotzdem, auch wenn ich keine Bühnenreifeprüfung habe.

    Du bewirbst dich also aktiv? Aber sonst weiß eigentlich niemand von dir bzw. dass es dich gibt und dass du etwas anbieten kannst im Schauspielbereich? Schein hin oder her von Schauspielschulen! Jemand stellt eine Rolle zur Verfügung und hat vielleicht auch ein genaueres Bild im Kopf, wo du gut reinpassen könntest. Und dann weiß er nicht, dass es dich gibt oder es wäre ein ungeheurer Zufall! Dass es außer bei Castingagenturen keine anderen Möglichkeiten gibt, ist ein Problem. Vieles läuft aber auch jetzt digital. Z.B. bei castupload.  
    Im Selfmarketing bin ich wirklich nicht gut. Sonst wäre ich definitiv nicht mehr da, wo ich jetzt noch sitze.