Kunst von Menschen mit Behinderung in Deutschland:
Eckdaten und EUCREA-Chronologie
Die siebziger und die achtziger Jahre: Anti-Psychiatrie-Bewegung, Erweiterung des Kunstbegriffs und Forderung nach einer „Kultur für alle“
1971
Stadtteilkultur, Soziokultur
In Hamburg wird die „Fabrik“ als erstes Stadtteil-kulturzentrum in Deutschland gegründet. Unter dem Motto „Kultur für alle“ sollen Kunst und Kultur auch außerhalb von Museen und Theater stattfinden und Gesellschaft, Kunst und Politik in eine neue Verbindung gebracht werden.
1971
1972
documenta 5: Außerkünstlerische Bildwelten
Harald Szeemann konzipiert die documenta 5 unter dem Titel „Befragung der Realität – Bildwelten“ und relativiert den Kunstbegriff, in dem er „außerkünstlerische Bildwelten“, wie die Bildnerei der Geisteskranken, gesellschaftliche Ikonografie, Sciene Fiction und Propaganda, in seine Kunstschau einbezieht.
1978
Peter Radtke, Georg Tabori und das Münchner Crüppel Cabaret
1978
1981
"Kultur für alle" erreicht öffentliche Einrichtungen
1981
Gründung des "Haus der Künstler"in Gugging
Im bayrischen Stetten wird 1966 eine kreative Werkstatt im Rahmen der Diakonie als eines der ersten Ateliers zur Förderung behinderter Künstler in Deutschland gegründet.
1981
1985
Die blaue Karawane und die Anti-Psychiatrie-Bewegung
1986
Blaumeier in Bremen, Schlumper in Hamburg
Gründung der freien Künstlergruppe die „Schlumper“ in Hamburg, die aus Malern mit einer geistigen Beeinträchtigung besteht
1986
1989
Gründung von EUCREA Deutschland e.V. in München
Im gleichen Jahr entsteht das Musikprojekt „Station 17“ in Hamburg in den „Alsterdorfer Anstalten“ (heute „Stiftung Alsterdorf“).
Die neunziger Jahre:
Erprobung künstlerischer Aktionsfelder und neuer Festivalformate
1990
Gründung des Theaters RambaZamba in Berlin
Gründung des Vereins Sonnenuhr e.V. in Berlin, aus dem die Theatergruppe RambaZamba hervorgeht, die überwiegend aus Schauspieler:innen mit einer geistigen Behinderung besteht. Erste Gastspiele u.a. im Deutschen Theater Berlin.
1990
1991
Zweijähriger Modellversuch startet: „Thikwa - Werkstatt für Theater und Kunst“
1993
Europäische Kulturfestival CreArt
1993
1996
EU-Förderung der EUCREA-Verbände endet
1997
Gründung der Lebenshilfe Kunst und Kultur
1997
1998
EUCREA zieht nach Hamburg
In Hamburg veranstaltet EUCREA das „Festival verrückte Kunst“.
Nach dem Millenium:
Qualität, Kunstmarkt und Institutionalisierung
2000
WELTSICHTEN: Erste europäische Fachtagung zur Kunst behinderter Menschen
EUCREA organisiert erstmals eine europäische Fachtagung zur Kunst behinderter Menschen in Hamburg (WELTSICHTEN) und reagiert damit auf den vorhandenen Bedarf an Kommunikation innerhalb der aktiven Szene. Weitere europäische Fachtagungen (2007 Show Up, 2013 VISION ON) folgen.
Das 1995 in München gegründete hpca atelier lobt 2000 als Teil der Augustinum Stiftung den ersten euward - Europäischer Kunstpreis für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behinderung aus. Die Ergebnisse des ab diesem Zeitpunkt regelmäßig ausgelobten Kunstpreises werden im Münchner Haus der Kunst und später im Buchheim Museum in einer Ausstellung gezeigt.
In Münster wird das Kunsthaus Kannen (Museum für Outsider Art und Art Brut) eröffnet.
2000
2000
EUWARD und Kunsthaus Kannen
Das 1995 in München gegründete hpca atelier lobt 2000 als Teil der Augustinum Stiftung den ersten euward - Europäischer Kunstpreis für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behin-derung aus. Die Ergebnisse des ab diesem Zeitpunkt regelmäßig ausgelobten Kunstpreises werden im Münchner Haus der Kunst und später im Buchheim Museum in einer Ausstel-lung gezeigt.
In Münster wird das Kunsthaus Kannen (Museum für Outsider Art und Art Brut) eröffnet.
2001
Atelier Golstein in Frankfurt eröffnet
In Frankfurt wird das Atelier Goldstein gegründet.
EUCREA präsentiert die Ausstellung „extensions – Vom Ersatz zur Erweiterung“ auf der REHACARE, die sich künstlerisch dem Thema Prothetik widmet. Die Ausstellung wird anschließend an mehreren Orten in Deutschland gezeigt.
2001
2002
Das Modell der „Künstlerarbeitsplätze“ etabliert sich
Die Künstlergruppe „Schlumper“ in Hamburg schließt sich „alsterarbeit“, dem Arbeitsträger der Stiftung Alsterdorf, an. Immer mehr bislang freie Gruppen organisieren sich in dem Modell „Künstler als Beruf“ und kooperieren mit der Behindertenhilfe in Deutschland. Durch die immer geringer werdenden Mittel für Kultur-förderung in den Kommunen entsteht hier eine institutionelle Perspektive für viele Künstler:innen. Auch die Werkstätten selbst initiieren „Künstlerarbeitsplätze“, die es Kunstschaffenden mit Behinderung ermög-lichen, ganztägig kreativ zu arbeiten.
Nach der Ausstellung „Femme Enceinte à L'oiseau“ (2000), die 20 Künstler:innen aus 14 europäischen Ateliers präsentiert, eröffnet EUCREA die Internetgalerie für bildende Kunstaktive xpo-online.net mit dem Ziel, die wachsende Zahl von Ateliers sowie deren Künstler:innen und deren Werke sichtbar zu machen. Aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen stellt EUCREA die Arbeit an der Website 2005 wieder ein.
2003
EUCREA Wettbewerbe
Nach der Etablierung des EUWARDS durch das hpca in München schreibt EUCREA verschiedene Wettbewerbe aus, die die künstlerische Arbeit von Menschen mit Behinderung sichtbarer machen sollen. Dabei kooperiert EUCREA mit etablierten Kunstorten bezüglich der Preisverleihungen und stellt renommierte Jurys zusammen: 2003 European Songcontest Disabled Artists), Literaturwettbewerbe für geistig beeinträchtigte Autor:innen 2005, 2008 und 2010, Designwettbewerb UNIC AWARD 2009 und 2011.
2003
2003
EUCREA Qualifizierung zum Kunstassistenten
2004
Performancefestival SIMPLE LIFE und Symposium "Real Reality"
EUCREA veranstaltet erstmals das Performancefestival SIMPLE LIFE in Berlin (Hebbel am Ufer HAU) und setzt damit einen neuen Akzent in der Ausrichtung von Festivals. Nicht mehr die Behinderung der Schauspieler:innen wird zum Festivalthema gemacht, sondern deren Sicht auf das Leben und die Gesellschaft. SIMPLE LIFE wird 2010 auf Kampnagel in Hamburg erneut durchgeführt. Das Symposium „Real Reality“ widmet sich dem dokumentarischen Theater mit verschiedenen Protagonisten.
2004
2006
EUCREA und Royston Maldoom
Das Programm wird vor mehrfach ausverkauf-tem Haus im Hamburger Schauspielhaus präsentiert und 2007 erneut aufgelegt.
2006
Station17 wird zu barner16
2006
2007
Show Up!: Fachtagung zur künstlerischen Aus- und Fortbildung geistig beeinträchtigter Menschen
Auf Wunsch vieler Mitglieder nach regel-mäßigen Treffen und Vernetzung richtet der Verein die Veranstaltungsreihe EUCREA FORUM ein, die seitdem in ein- bis zwei-jährigem Abstand stattfindet.
2009
European Outsider Art Association gegründet
2009
2010 - 2016
Inklusion statt Integration
2013
EUCREA wird zum Verband Kunst und Behinderung
Die Mitgliederzahlen von EUCREA steigen. Umbenennung von EUCREA Deutschland e.V. in EUCREA Verband Kunst und Behinderung e.V. und Aufnahme von Mitgliedern aus Österreich und der Schweiz.
Der Verband organisiert die dritte europäische Fachtagung VISION ON! in Hamburg, die u.a. die Auswirkungen der 2008 in Kraft getretenen UN Behindertenrechtskonvention zum Thema hat.
Nach einem ersten Designwettbewerb 2009 widmet sich EUCREA auch dem Bereich Design und angewandte Kunst. EUCREA eröffnet das Online-Portal www.unic-design.de und lobt den zweiten Designwettbewerb UNIC AWARD aus. Regelmäßige Ausstellungsaktivitäten auf Designmessen folgen.
2013
2013
Julia Häusermann erhält den Alfred Kerr-Darstellerpreis
Julia Häusermann vom Theater Hora erhält als erste Schauspielerin mit Beeinträchtigung den Alfred Kerr-Darstellerpreis für ihre künstlerische Leistung in der Produktion „Disabled Theater“. Damit ist sie einer der ersten Künstler:innen mit Behinderung, die einen renommierten Preis erhält, der nicht speziell an Kunstschaffende mit Behinderung verliehen wird.
2013
55. Biennale von Venedig: Erweiterter Kunstbegriff
In seine Kunstschau, der 55. Biennale von Venedig 2013 „Der enzyklopädische Palast“, bezieht der italienische Kurator Massimiliano Gioni zahlreiche „Outsider-Künstler:innen“ ein, ohne dies besonders herauszustellen. Damit verwischt er die Grenzen zwischen professionellen Kunstschaffenden, Amateuren, In- und Outsidern am Kunstmarkt.
2013
2014
Kunsthaus KAT18 in Köln eröffnet
In Köln entsteht ein neues Kunsthaus: Die Kreative Werkstatt ALLERHAND eröffnet das Kunsthaus KAT 18 (GWK GmbH) in der Kölner Südstadt. Die Zusammenarbeit mit Künstler:innen ohne Beeinträchtigungen sowie Kulturhäusern der Stadt ist Bestandteil des Konzepts.
2015
Inklusion statt Integration
Mit seinem Festival „Inzwischen- Kreative Ko-Existenzen“ widmet sich EUCREA den Kooperationen zwischen Theater-Ensembles von Schauspieler:innen mit und ohne Beeinträchtigungen. Arbeiten, in denen Akteure und Aktricen mit geistiger Beeinträchtigung nicht mehr nur als Darsteller:innen, sondern selbst als Autor:innen und Regisseur:innen tätig sind, werden präsentiert. Workshops und Vorträge fanden statt, die u.a. der Frage nachgingen, wie die Machtverhältnisse zwischen behinderten und nichtbehinderten Akteuren und Aktricen beim künstlerischen Prozess verteilt sind und wie die Öffentlichkeit die angesprochenen Theaterproduktionen wahrnimmt.
2015
2015
ARTplus: Kulturinstitutionen öffnen
EUCREA setzt seinen Fokus auf die strukturelle Verbesserung der Ausbildungs- und Arbeits-situation von Künstler:innen mit Beeinträchti-gungen. Mit Unterstützung der Bundesbeauf-tragten für Kultur und Medien und in enger Kooperation mit der Kulturbehörde Hamburg beginnt die Arbeit am Strukturprogramm ARTplus. Der erste Arbeitsabschnitt beginnt zunächst in Hamburg, wo exemplarisch Kooperationen zwischen Kultur- und Ausbil-dungshäusern und Kunstschaffenden mit Beeinträchtigungen erprobt werden.
2015
Nationaler Aktionsplan NAP, Bundesweites Netzwerk Kunst und Inklusion
EUCREA bringt Vorschläge zur Erweiterung des Nationalen Aktionsplanes (NAP) im Bereich Kultur ein, der bisher ausschließlich die Verbesserung der Rezeptionsmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen vorsieht, diese aber nicht als künstlerisch Schaffende in seinen Maßnahmeplan einbezieht.
Das „Bundesweite Netzwerk Inklusion“, initiiert von der Beauftragten für Kultur und Medien, wird gegründet und an der Akademie für kulturelle Bildung in Remscheid angesiedelt.2015
2016
UNIC AWARD, Inklusives Design
Mit dem ersten Designwettbewerbs für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung (2009) wollte EUCREA erstmals gestalterische Arbeiten von Menschen mit Behinderung im Bereich der angewandten Kunst veröffentlichen. Es folgten eine Fachtagung zum Thema "Social Design" (2010), die sich insbesondere partizi-pativen Gestaltungsansätzen widmete, und ein zweiter Designwettbewerb für inklusive Design-teams (UNIC AWARD).
Mit der Projektreihe HANDWERKSTATT Inklusive Manufaktur arbeiten Handwerker:innen mit Beeinträchtigungen mit Designstudierenden der Hochschule für bildende Künste an der Neuinterpretation handwerklicher Techniken. EUCREA zielt mit dem Vorhaben darauf ab, handwerkliche Tätigkeit als Arbeitsfeld für Menschen mit Beeinträchtigungen erneut sichtbar werden zu lassen. Zudem geht es darum, sichtbar zu machen, wie Produktvielfalt und Qualität durch partizipative Arbeitsweisen gewinnen können.
2016
EUCREA: Über den Rand hinaus
Das Veranstaltungsformat „Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ (in Zusammenarbeit mit der Mobilen Akademie Berlin) eröffnet EUCREA neue Perspektiven der Vermittlung. Mit „THE EXTRAORDINARY ORDINARY- Behinderung, Technokörper und die Frage der Autonomie“ erreicht EUCREA ein vielfältiges Publikum.
2016
2017
Entwicklung nachhaltiger Struktur-programme für mehr Diversität im Kunst- und Kulturbetrieb in Deutsch-land
EUCREA entwickelt zunehmend Struktur-programme, die die Diversität im Kunst- und Kulturbetrieb in Deutschland langfristig verbes-sern sollen. Die Handlungsempfehlungen, hervorgegangen aus dem ersten Modellprojekt ARTplus in Hamburg, werden veröffentlicht. EUCREA stößt mit dieser Arbeit auf ein bundes-weites Interesse und stellt das Programm in Form von Vorträgen und Fachgesprächen vor.
ab 2017
Diversität, Teilhabe und Intersektionalisierung
2018
ARTplus - die EUCREA Strukturprogramme: Vielfalt als Stärke
EUCREA entwickelt zunehmend Strukturprogramme, die daran ansetzen, die Parallelität von Kunst und Kultur innerhalb der Behindertenhilfe und allgemeinem Kulturbetrieb abzubauen. Begonnen mit dem von 2015 bis 2017 währenden Modellvorhaben in Hamburg (ARTplus) gibt EUCREA Handlungsempfeh-lungen für den Kulturbetrieb heraus. 2018 veröffentlicht EUCREA ein Positionspapier zur Diversitätsentwicklung zugunsten von Künstler:innen mit Behinderung und stellt dies der ständigen Kultusministerkonferenz vor, die eine Ad-hoc-Gruppe zum Thema einrichtet.
2018
2017
Diversität und Intersektionalisierung
2019
CONNECT - Kunst im Prozess
2019
2019
SOUNDFORM - Instrumente für alle
Mit SOUNDFORM präsentiert EUCREA klassisch-analoge bis digitale Klangerzeuger und zeigt auf, wie diese mehr Möglichkeiten für Menschen mit unterschiedlichsten Vorausset-zungen bieten können, musikalisch kreativ zu werden. Inspiriert durch die aus dem englisch-sprachigen Raum stammende Bewegung der „Accessible Musical Instruments“ lädt EUCREA Designer.innen, Programmierer:innen, Instrumentenbauer:innen, Musiker:innen sowie Musikveranstalter:innen und -vermittler:innen aus Europa ein.
2020
Ausbildung und Qualifizierung
In Teilhabe von Künstler:innen mit Behinderung an Ausbildung und Qualifizierung sieht EUCREA den nächsten wichtigen Schritt in Richtung Diversität im Kulturbetrieb. EUCREA gewinnt mehr als 20 Ausbildungsinstitutionen in sechs Bundesländern (Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Berlin), die sich der EUCREA-Initiative anschließen wollen.
2020