Schauspieler Jan Kampmann am Set von INCOGITO von Leonard Grobien

    Inklusion im Film: Mehr Sichtbarkeit vor der Kamera

    Eine neue Suchfunktion bei dem Besetzungsportal Filmmakers macht Schauspieler*innen mit Behinderungen bei der Besetzung sichtbar. Branchenbündnis unterstützt Diversität vor der Kamera.

    EUCREA, Filmmakers und Rollenfang haben mit den für die Besetzung relevanten Branchenverbänden Bundesverband Schauspiel e.V., Bundesverband Casting e.V. und Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater e.V. eine neue Filter- und Suchfunktion geschaffen: Ab sofort können professionelle Schauspieler*innen in ihrem Filmmakers-Profil Informationen zu ihrer Behinderung angeben und selektiv steuern, wie diese Information in der Besetzung genutzt werden kann. Das Bündnis unterstützt damit technisch und inhaltlich den Wunsch der Filmbranche nach mehr Diversität.

    Schauspieler Jan Kampmann erzählt im Deutschlandfunk Kultur, was dieses neue Tool für die Filmbranche bringt: Interview hier

    Ein wichtiger Schritt zur Veränderung ist die Sichtbarkeit

    Das Besetzungsportal Filmmakers ist zentrales Werkzeug in der Zusammenarbeit zwischen Schauspieler*innen, Agent*innen, Casting-Direktor*innen, Regisseur*innen und Produzent*innen. Bei der Suche nach der passenden Besetzung arbeiten Casting-Direktor*innen Hand in Hand mit Regie, Produktion sowie Agent*innen und Schauspieler*innen an der Kreation vom passenden Cast. 

    Bisher waren aus technischen und rechtlichen Gründen Schauspieler*innen mit Behinderung in Besetzungssystemen nicht auffindbar. Auf dem Besetzungsportal Filmmakers ändert sich dies nun. Mit der dort veröffentlichten Erweiterung arbeiten nun professionelle Casting-Direktor*innen direkt mit Schauspieler*innen mit Behinderung und deren Agent*innen. In dem für professionelle Besetzung vorbehaltenen Bereich ist nun die neue Rubrik „Diversity“ mit der Unterkategorie zu Behinderungen und chronischen Erkrankungen integriert. Der Nutzung steht, auch symbolisch, eine Selbsterklärung zur Diversität und Besetzung von Darsteller*innen und Schauspieler*innen mit Behinderung voraus. Schauspieler*innen mit Behinderung können außerdem Verbesserungsvorschläge u.a. zu Kategorien und Wording über die Feedback-Funktion senden. So soll die neue Funktion nach Bedarf der Nutzer*innen wachsen.

    Jan Kampmann, Schauspieler mit Behinderung, freut sich um diese Erweiterung: “Die neue Funktion schließt eine wichtige Lücke, das sorgt für mehr Sichtbarkeit. Behinderung wird hier als Merkmal ausgewiesen – nicht ausgestellt, aber auch nicht verschwiegen. Ich finde das sensibel gelöst. Außerdem freut es mich, dass Expert*innen wie Rollenfang und EUCREA zurate gezogen worden sind."

    Auch Simone Wagner, Schatzmeisterin und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Schauspiel e.V. (BFFS), begrüßt diese Entwicklung: „Unsere Gesellschaft ist divers, vielfältig und bunt. Wir müssen diese Diversität als Normalität zeigen. Mehr Sichtbarkeit im Besetzungsprozess für Schauspieler*innen mit Behinderung ist ein Schritt in die richtige Richtung.“

    "Die neue Suchfunktion, die in Abstimmung mit unseren Partnerorganisationen und dem BVC entwickelt wurde, ist eine große Hilfe für das Casten von Schauspieler*innen mit Behinderung. Wir begrüßen es sehr, dass der Umdenkprozess in der Filmlandschaft nun endlich so stattfindet, wie wir ihn seit Jahren fordern und diverse Besetzung immer selbstverständlicher wird. Dafür setzen wir uns auch weiterhin gemeinsam ein", so der Vorstand des Bundesverbands Casting e.V. (BVC).

    Der Vorstand des Verbands der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater e.V. (VDA) unterstreicht: „Als Agent*innen sind wir nicht nur Dienstleister*innen und Berater*innen unserer Klient*innen, sondern setzen uns für eine vielfältige und diverse Kulturbranche ein. Der VdA möchte dazu beitragen, Schauspieler*innen mit Behinderung den Zugang zu audiovisuellen Produktionen mit Achtsamkeit und Austausch zu ermöglichen – künstlerisch, technisch, organisatorisch, diskriminierungs- und barrierefrei.“

     

    Austausch und Wissenstransfer als Motor einer Inklusionsoffensive

    Filmmakers, Rollenfang und EUCREA haben die neue Suchfunktion zusammen entwickeln. In einem zweiten Schritt hat Filmmakers das Bündnis um die relevanten Branchenverbände erweitert.

    Die beteiligten Branchenverbänden möchten für mehr Diversität konkret handeln, wissen aber oft nicht, wie und wo sie starten können. Es fehlt ihnen das Wissen und die Erfahrung. Für Casting-Direktor*innen, Agent*innen, und Filmproduzent*innen, die sich zum Thema "Inklusion im Film" fortbilden möchten, bieten deshalb EUCREA und Rollenfang Austausch- und Informations-Sessions sowie ab dem Herbst Online-Schulungen an. Beide Formate ermöglichen einen Austausch zwischen Akteuren der Filmbranche um die Themen Film und Behinderung.

     

    Schauspieler*innen mit Behinderung immer gefragter

    Behinderte Filmschaffende werden immer noch massiv marginalisiert, hinter der Kamera sowie vor der Kamera. Die MaLisa-Studie 2021 untersuchte u.a. die Repräsentierung von Menschen mit sichtbaren Behinderungen im Deutschen Fernsehen: Nur 0,4 Prozent Protagonist*innen und Hauptakteur*innen haben eine sichtbare Behinderung. In Deutschland leben dagegen fünf Prozent der Bevölkerung mit einer sichtbaren Behinderung.

    Einige Zeichen deuten jedoch auf bessere Zeiten für alle unterrepräsentierten Gesellschaftsgruppen hin: Filmemacher*innen fordern zunehmend gleiche Chancen ein. Organisationen wie Pro Quote Film, Queer Media Society sowie die Initiative “Vielfalt im Film” stellen die gewohnten Strukturen und Denkmuster der Branche infrage und regen eine intersektionale Repräsentationsdebatte an. Rollen von Charakteren mit Behinderung werden immer mehr mit Schauspieler*innen mit Behinderung besetzt.

    „Für einen Paradigmenwechsel brauchte die Filmbranche mehr Mut: Schauspieler*innen mit Behinderung bekommen oft nur Rollen, die sie auf ihre Behinderung reduzieren. Behinderte Ärzt*innen, Politiker*innen oder Liebhaber*innen sind aber keine Fantasiefiguren. Sie existieren in der realen Welt. Diese Vielfalt der Gesellschaft wird jedoch selten in Serien, Kinofilmen und Werbespots abgebildet. Auf diese Weise produziert die Filmbranche ein verzerrtes Bild von Menschen mit Behinderung. Denn Filme formen unser Weltbild und damit unsere Realität”, so Angela Müller-Giannetti, Geschäftsführerin des Vereins EUCREA.

    Gleichzeitig machen Hollywood und die internationale Streaming-Giganten Druck auf deutsche Medienunternehmen. Progressive Produktionen, beispielsweise von Netflix, prägen den deutschen Unterhaltungsmarkt. Die Fernseh- und Filmkonsument*innen haben neue Erwartungen. Regisseur*innen, Casting-Direktor*innen und Produktionsfirmen handeln: sie möchten neue Geschichten klischeefrei erzählen und suchen nach neuen behinderten Film- und Fernsehstars von morgen.

    Produzentinnen und Produzenten sind zentrale Akteure bei der Schaffung anspruchsvoller Programme und sehen sich in der Verantwortung, gesellschaftsrelevante Prozesse in ihre tägliche kreative Arbeit zu integrieren. Themen wie Inklusion, Vielfalt und Gleichberechtigung sind und sollten fester Bestandteil dieser Arbeit sein. Hierbei ist uns eine gute Integration und Sichtbarkeit von Schauspieler*innen mit Behinderung in Film-, TV- und Streamerproduktionen sehr wichtig“, so Björn Böhning, Geschäftsführer der Produzentenallianz.

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    Fotonachweis: Schauspieler Jan Kampmann am Set von INCOGITO von Leonard Grobien © Julia Gierzynski